Kanalisation: Milliarden sparen durch Schutz vor Korrosion

Veröffentlicht am 15.08.2014

Stuttgarter Zeitung - 15.August 2014

Und zwar in Form einer „Sulfid“ genannten Verbindung, die zusammen mit Wasserstoff das Gas Schwefelwasserstoff  bildet. Das wiederum ist ...

Roland Knauer, 15.08.2014 09:00 Uhr

Stuttgart - Die Abwasserbetriebe der Welt könnten jährlich Milliardensummen sparen, berichten Zhiguo Yuan von der University of Queensland im australischen Brisbane und seine Kollegen in der Fachzeitschrift „Science“. Sie müssten nur über den Tellerrand schauen. Denn wenn man das für die Trinkwasserreinigung verwendete Aluminiumsulfat ersetzen würde, würden die Betonröhren der Kanalisation nicht so schnell von Schwefelsäure zerfressen. „Weil aber Wasserversorger und Abwasserbetriebe normalerweise getrennt voneinander agieren, hat bisher niemand über den Tellerrand geschaut“, erklärt der Siedlungswasser-Spezialist Wolfgang Rauch von der Uni Innsbruck.

Die Australier haben die Lösung für die Korrosionsprobleme erst erkannt, als sie die gesamte Kette von der Trinkwassergewinnung bis zum Klärwerk zunächst im Südosten des Bundesstaates Queensland und später in ganz Australien unter die Lupe genommen haben. 52 Prozent des Sulfats, das später Probleme macht, kommt aus der Trinkwasserreinigung, stellen die Forscher fest. „In vielen Weltregionen gibt man Aluminiumsulfat in das Wasser, um Schweb- und Trübstoffe sowie natürliche organische Substanzen herauszuholen“, sagt Rauch. Überschüssiges Sulfat schadet weder den Menschen noch den Wasserleitungen oder den Geräten. Für den Versorger gab es bisher an diesem Reinigungsschritt nichts zu beanstanden.

Mit dem Abwasser hatte er ja nichts zu tun. Das aber enthält immer noch einiges an Sulfat, das ursprünglich zur Wasserreinigung zugesetzt wurde. Auch dort macht die Substanz zunächst keine Probleme. Es sei denn, der Sauerstoff wird knapp. Diese Situation aber gibt es häufiger. So kann zum Beispiel in manchen Region das Klärwerk nicht im tiefsten Gebiet angelegt werden. Für den Abwasserbetreiber ist das kein Problem, Pumpen schieben die Brühe durch Druckleitungen auf ein höheres Niveau. Allerdings laufen die Pumpen nur kurz, die meiste Zeit steht das Wasser in den aufwärts führenden Druckleitungen.

Erst fehlt Sauerstoff, dann entsteht Schwefelwasserstoff

Dort aber fehlt der Sauerstoff. Unter diesen Bedingungen wird eine große Gruppe vor allem von Desulfovibrio-Bakterien aktiv, die den im Sulfat vorhandenen Sauerstoff für ihre Lebensprozesse nutzen. Übrig bleibt mit dem Schwefel das zweite Element, aus dem das Sulfat besteht. Und zwar in Form einer „Sulfid“ genannten Verbindung, die zusammen mit Wasserstoff das Gas Schwefelwasserstoff bildet. Das wiederum ist giftig und stinkt; es gibt faulen Eiern ihren durchdringenden Duft.

Auf seinem Weg kommt das Abwasser dann normalerweise bald wieder mit frischer Luft und damit auch mit Sauerstoff in Berührung. „Dann kommt mit den Thiobacillus-Bakterien eine Gruppe ganz anderer Mikroorganismen zum Zug, die sich von Sulfid ernähren und es mit Sauerstoff verbrennen“, erklärt Rauch. Damit ist zwar der giftige Schwefelwasserstoff entschärft, aber es entsteht jede Menge Schwefelsäure. Diese aggressive Säure wird rasch von Kalk neutralisiert. Der wiederum ist im Zement reichlich vorhanden, der den Beton bindet, aus dem die Rohre und andere Bauwerke im Abwassersystem häufig bestehen. Damit aber fehlt das Bindemittel und der Beton zerbröselt. „Die so entstandene Schwefelsäure kann jedes Jahr wenige Millimeter eines einige Zentimeter dicken Betonrohres von innen zersetzen“, berichtet Rauch.

Weltweit sind fast zwei Drittel der Menschen an ein Abwassersystem angeschlossen, allein die Installationskosten dafür liegen bei rund zehn Billionen Euro, schätzt Rauch. Normalerweise sollten die Betonrohre 50 bis 100 Jahre ihren Dienst tun, kalkulieren Abwasserexperten. Allein die Instandhaltung kostet demnach weltweit mindestens 100 Milliarden Euro im Jahr. Findet man eine Möglichkeit, den Betonfraß so zu verringern, dass die Rohre nur ein Jahr länger liegen können, würde das mindestens eine Milliarde Euro jährlich sparen, rechnet Rauch vor.

Bisher gingen Abwasserbetriebe den Betonfraß an, indem sie den ohnehin giftigen Schwefelwasserstoff bekämpften, aus dem die Schwefelsäure später entsteht. Das ist aber ähnlich teuer wie die Korrosionsschäden am Beton. Billiger wäre es, das Aluminiumsulfat bei der Wasserreinigung zu ersetzen. Das verringert die Korrosion um rund 60 Prozent, stellen die Forscher fest. „Dafür kommen zum Beispiel der Ersatzstoff Polyaluminiumchlorid oder die teurere Nanofiltration durch Membranen infrage, bei der bisher keinerlei Probleme bekannt wurden“, schlägt Rauch vor.

Kommentar von Carl Wassermann:

Es ist schon erstaunlich, diese Neuigkeiten aus Australien. Natürlich, Australien , die müssen das ja wissen und wir sollten uns da sicher ein Beispiel nehmen! Nur, dass diese Informationen nicht neu sind. Auf www.schwefelwasserstoff.de wird schon seit 14 Jahren auf diese Zusammenhänge hingewiesen und in Europa, von Paris bis Berlin geht man schon seit Jahren gegen H2S im Kanal vor. Obwohl Alusulfat nur noch selten zur Trinkwasseraufbereitung (zumindest in Mitteleuropa) eingesetzt wird. Es gibt noch einige andere Schwefelquellen, die zur Schwefelwasserstoffbildung führen, die man nicht einfach abstellen kann. Aber schön, dass die Australier auch etwas herausgefunden haben. Einfacher wäre es gewesen,, sie hätten in der "Alten Welt" einmal nachgefragt.